Die theologische Fakultät gehört zu den Gründungsfakultäten der Universität Leipzig. Demnach wird schon seit 1409 wird an unserer Universität die Auslegung des Neuen Testaments gelehrt. Das Institut für Neutestamentliche Wissenschaft hat in seiner langen Geschichte einige sehr bedeutende Forscher hervorgebracht, darunter Constantin von Tischendorf und Caspar René Gregory. Während der Diktaturen waren auch umstrittene Figuren unter den Professoren. Im Folgenden stellen wir einige von ihnen vor.
Der erste bedeutende Vertreter des Fachgebiets der Neutestamentlichen Wissenschaft in Leipzig war Johann Georg Benedict Winer (1789 – 1858). Er war ein Leipziger Bäckerssohn, der 1819 zum außerordentlichen Professor berufen wurde. Winer widmete sich vor allem der grammatisch-historischen Arbeit am Neuen Testament. 1822 erschien in Leipzig seine „Grammatik des neutestamentlichen Sprachidioms als sichere Grundlage der neutestamentlichen Exegese“. Die „Grammatik“ wurde in acht Auflagen gedruckt. Mit einem weiteren Werk Winers, dem „Biblischen Realwörterbuch“ wurde auch die „Grammatik“ zum Standardwerk einer neuen Methodik.
Methodik als Begriff umfasst die Gesamtheit aller wissenschaftlichen „Hinwege“ zu einem Ziel bzw. einer besonderen Fragestellung.
Schüler Winers waren unter anderem Karl Gottfried Wilhelm Theile (1799 – 1874) und Rudolf Anger (1806 – 1866). Sie waren Lehrstuhlinhaber (Ordinarien) an der Leipziger Fakultät, mit Schwerpunkt Exegese.
„Exegese“ bedeutet die Auslegung beziehungsweise Interpretation von biblischen Texten.
Woldemar Gottlob Schmidt (1836 – 1888) wurde 1866 zunächst zum außerordentlichen Professor in Leipzig berufen. 1876 rückte Schmidt in eine ordentliche Professur auf. Diese Professur war nun ausdrücklich als „Ordinariat für Exegese des Neuen Testaments“ benannt. Christian Hermann Weiße (1801 – 1866), in Leipzig geboren, habilitierte sich 1823, wurde 1828 außerordentlicher und 1845 ordentlicher Professor. 1838 entwickelte Weiße in Anknüpfung an Karl Lachmann (Berlin) die so genannte Zweiquellentheorie.
Die Zweiquellentheorie ist die Annahme, dass die Evangelisten Matthäus und Lukas zwei Quellen verwendet haben, das Markusevangelium und eine nicht erhaltene, erschlossene Quelle, die sogenannte Logienquelle (abgekürzt „Q“).
Die Zweiquellentheorie gilt bis heute als Grundlage für die Beantwortung der synoptischen Frage, also dem Verhältnis der synoptischen Evangelien nach Markus, Matthäus und Lukas.
Lobegott Friedrich Constantin von Tischendorf (1815 – 1874) studierte ebenfalls bei Winer. Er widmete sich schon früh nahezu ausschließlich der Textkritik des Neuen Testaments.
Textkritik heißt in der neutestamentlichen Wissenschaft die Rekonstruktion einer möglichst ursprünglichen Fassung der Texte aus verschiedenen Handschriften. Weltweit führend in der neutestamentlichen Textkritik ist heute das „Institut für neutestamentliche Textforschung“ in Münster.
Auf Reisen durch Europa und den Orient sammelte er zahlreiche noch unbekannte Handschriften und wertete sie aus. Der Höhepunkt war die spektakuläre Entdeckung des „Codex Sinaiticus“ (4. Jahrhundert) im Katharinenkloster auf dem Sinai. Außerdem edierte er das „Novum Testamentum Graece“ sowie die „Synopsis Evangelica“ und viele weiteren Editionen aus den von ihm gefundenen Handschriften bzw. den von ihm gesammelten Lesarten. Unter Titeln wie „Hē kainē diathēke“ erschienen 41 verschiedene Ausgaben des Neuen Testaments Seine Arbeiten waren und sind international hochgeschätzt. An der Fakultät erhielt Tischendorf 1859 die spezielle Professur für Biblische Paläographie. 1869 erhielt er durch Zar Alexander II. den erblichen Adel.
Nach Tischendorfs Tod war Adolf von Harnack (1851 – 1930) in Leipzig tätig. Er studierte ab 1872 hier, 1876 bis 1879 erhielt er eine außerordentliche Professur für Kirchengeschichte. Er forschte zum frühen Christentum. Zugleich vermittelte er der exegetischen Arbeit am Neuen Testament entscheidende Impulse.
1888 wurde Theodor Zahn (1838 – 1933) für vier Jahre Lehrstuhlinhaber des seit 1876 bestehenden Lehrstuhls für Exegese des Neuen Testament. Auf Zahn folgte Georg Heinrici (1844 – 1915).
Als eine der interessantesten Persönlichkeiten an der Universität Leipzig gilt Caspar René Gregory (1846 – 1917). 1873 verließ der gebürtige Amerikaner seine Heimat. Er wollte bei Tischendorf Textkritik studieren. Als er endlich 1875 in Leipzig eintraf, war Tischendorf gerade verstorben. Gregory blieb und arbeitete sich in das Fachgebiet ein. Er verfasste die Prolegomena (das Vorwort; 1400 Seiten in Latein) der unvollendet gebliebenen Editio Octava Critica Maior (Kritische Edition des Griechischen Neuen Testaments) Tischendorfs. 1889 übernahm Gregory Tischendorfs speziellen Lehrstuhl für biblische Paläographie. Gregory wurde zu einer der geachtetsten Autoritäten in Fragen der Textkritik. 1900 erschien sein grundlegendes Werk, die „Textkritik des Neuen Testaments“. Die 1908 in „Die griechischen Handschriften des Neuen Testaments“ niedergelegte Zählung der biblischen Handschriften ist in Abwandlung noch heute in Geltung.
Doch in Leipzig ist er vor allem durch sein unkonventionelles, sozial engagiertes Auftreten in Erinnerung geblieben. Unzählige Anekdoten haben dem „lieben Herrn Professor“ ein ehrendes Andenken bewahrt. Seit 1881 besaß er die sächsische Staatsbürgerschaft. 1917 fiel der Wahl-Leipziger als 70-jähriger Freiwilliger in Frankreich. Ein Gedenkstein Gregorys befindet sich in der Naunhofer Straße vor dem Neuen Nikolai-Gymnasium.
Hans Windisch (1881 – 1935), ein gebürtiger Leipziger, begann seinen wissenschaftlichen Werdegang während der Lehrtätigkeit von Heinrici und Gregory. Er habilitierte sich 1908 an der Leipziger Universität und wirkte hier als Privatdozent, bis 1914. Später führte sein Weg von Leiden über Kiel nach Halle. 1912 begründete Windisch die Reihe „Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament“ (WUNT).
Johannes Leipoldt (1880 – 1965) hatte bereits 1905 in Leipzig seine Habilitation absolviert. 1916 übernahm er den Lehrstuhl seines Lehrers Heinrici in Leipzig. Leipoldts Wirken in der Zeit des Nationalsozialismus ist nicht unumstritten. Erst nach der Wende begann die tiefer gehende geschichtliche Aufarbeitung der Arbeit des „Instituts zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“, dessen Mitglied Leipoldt war. Leipoldt lehrte in Leipzig bis 1959 über 43 Jahre lang Neutestamentliche Wissenschaft. Sein Forschungsschwerpunkt lag vor allem im Bereich der hellenistischen Religionsgeschichte. Leipoldts Frau Irmgard Käte Leipoldt wurde wegen ihrer psychiatrischen Erkrankung 1941 in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet. Ein Stolperstein zu ihrem Gedenken liegt vor dem Haus in der Waldstraße 59 in Leipzig.
Eine Aufarbeitung von Leipoldts Wirken im „Entjudungsinstitut“ bietet Dirk Schuster, „Jesu ist von jüdischer Art weit entfernt.“ Die Konstruktion eines nichtjüdischen Jesus bei Johannes Leipoldt, in: Manfred Gailus/Clemens Vollnhals (Hgg.), Für ein artgemäßes Christentum der Tat. Völkische Theologen im »Dritten Reich«, Göttingen 2016, S. 189 – 201.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus war Leipoldt CDU-Volkskammerabgerodnete in der DDR.
Neben Leipoldt stand von 1917 – 1921 noch Gerhard Kittel (1888 – 1948) als außerordentlicher Professor. Kittel war der Herausgeber des großen „Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament“, ein grundlegendes Werk für die Exegese des Neuen Testaments. Auch er war leider aktiv in der theoretischen Grundlegung der Verfolgung und Ermordung Angehöriger des Jüdischen Volkes.
Die schwierige Rolle Kittels im Dritten Reich und weitere Aspekte seines Lebens und Wirkens haben die bereits genannten Manfred Gailus und Clemens Vollnhals wiederum in einem Sammelband zusammengetragen: Manfred Gailus/Clemens Vollnhals (Hgg.), Christlicher Antisemitismus im 20. Jahrhundert. Der Tübinger Theologe und »Judenforscher« Gerhard Kittel, Göttingen 2019.
Von 1922 bis 1954 war Albrecht Oepke (1881 – 1955) außerordentlicher Professor. 1929/30 bemühte sich die Theologische Fakultät um die Errichtung eines zweiten Ordinariates für Neutestamentliche Wissenschaft in Leipzig. Rudolf Bultmann (1884 – 1976) war 1930 dafür vorgesehen, lehnte aber ab. Die Fakultät wollte nunmehr Albert Schweitzer (1875 – 1965) berufen. Schweitzer hielt sich zu dieser Zeit noch in Lambarene (Gabun, Afrika) auf. Weil Schweitzer absagte, scheiterte vorläufig das Vorhaben eines zweiten Lehrstuhles. 1930 bewilligte das Volksbildungsministerium Sachsen eine weitere außerordentliche Professur für Paul Fiebig (1876 – 1949). Sein Schwerpunkt war die Beziehung zwischen rabbinischer Literatur und Neuem Testament. Erst 1954 wurde Oepkes vom außerordentlichen zum ordentlichen Professor auf den zweiten Lehrstuhl berufen. Oepke verstarb kurz darauf.
1955 entstand mit dem Tod Oepkes und der Emeritierung Leipoldts eine schwierige Situation. Es gab Versuche staatlicher Einflussnahme auf die Nachfolge. Bemühungen um eine Berufung Ernst Bammels (später in Cambridge) misslangen. Leipoldt vertrat sich bis 1959 selbst. Währenddessen installierte das Staatssekretariat für das Hoch- und Fachschulwesen Christoph Haufe (1925 – 1992). Haufe war ein Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit („Stasi“) als Geheimer Mitarbeiter (GM), Deckname "Blume". Er wurde aber gegen den Willen der Fakultätsmehrheit 1957 zum Dozenten und 1958 zum Professor ernannt. In dieser Position verblieb er 26 Jahre als einziger Ordinarius (Lehrstuhlinhaber) für Neues Testament.
Günter Haufe (1931 – 2011) blieb nach seiner Habilitation 1964 in Leipzig. Sein Wirken wurde jedoch durch die Hochschulpolitik der SED hintertrieben. Erst 1968 gelang die Berufung zum Dozenten. 1971 wechselte Haufe auf eine Professur nach Greifswald. In diesem Jahr kam Karl Martin Fischer (1936–1981) aus Berlin nach Leipzig. Aber erst 1974 wurde Fischer zum Dozenten berufen. Eine Professur erhielt er nicht. Schwerpunkt seines Wirkens war seine Mitarbeit im Berliner koptisch-gnostischen Arbeitskreis. 1981, erst 45-jährig, starb er plötzlich. An seiner Stelle übernahm Günther Wartenberg (1943 – 2007) die Dozentur für Neues Testament. Er lehrte von 1983 – 1992 Neutestamentliche Wissenschaft, zuletzt als ordentlicher Professor, bevor er zur Kirchengeschichte wechselte.
1984 wechselte Wolfgang Wiefel (1929 – 1998, emeritiert 1992) aus Halle in das Ordinariat des vorzeitig emeritierten Haufe. Am Theologischen Seminar, aus dem 1990 die Kirchliche Hochschule wurde, hatte Werner Vogler (1934 – 2000) 1969 die Dozentur von Harald Hegermann (1922 – 2004) übernommen. Seit 1970/71 gab es keine Fakultät für Theologie mehr, sondern die Sektion Theologie.
1971 kam Wolfgang Trilling (1925 – 1993) zum Lehrkörper hinzu. Dies war ein Novum, da Trilling als katholischer Gastdozent neutestamentliche Wissenschaft an einem lutherischen Seminar lehrte. Dadurch trug er zum ökumenischen Gespräch vor Ort bei, in den spannenden Jahren nach dem zweiten Vatikanischen Konzil. In der Zeit schwerer Erkrankung trat dann Christoph Kähler ab 1981 an seine Seite und schließlich an seine Stelle.
Die bisherige Theologische Fakultät und die Kirchliche Hochschule wurden 1992 zur in der erneuerten Theologischen Fakultäte zusammengeführt.
1992 konnten zwei Lehrstühle im Institut für Neutestamentliche Wissenschaft besetzt werden. Werner Vogler (1934 – 2000) wirkte hier bis zu seiner Emeritierung 1999. Christoph Kähler (*1944) hatte den zweiten Lehrstuhl inne bis zu seiner Wahl in das Amt eines Bischofs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen 2001. 1998 übernahm Christfried Böttrich (*1959) wesentliche Teile der Lehrverpflichtungen von Christoph Kähler. Kähler war von 1997 bis 2000 Prorektor der Universität Leipzig.
1999 hat Jens Herzer (*1963) die Nachfolge von Vogler angetreten. 2003 wurde Christoph Kähler zum Bischof der thüringischen Kirche gewählt. Der Lehrstuhl wurde mit Jens Schröter (*1961) wiederbesetzt. Im September 2009 wurde Schröter als Professor an die Humboldt-Universität Berlin berufen. Bis 2011 übernahm Rainer Metzner (*1964) die Lehrstuhlvertretung. Der Lehrstuhl konnte 2011 mit Marco Frenschkowski (*1960) neu besetzt werden.