Vom christlichen Antijudaismus zum völkischen Antisemitismus
Judenfeindschaft hatte stets viele Gesichter. Auch ihre Hauptmotive haben sich im Lauf der Geschichte geändert. Während in den alteuropäischen Gesellschaften religiöse Aspekte eine wesentliche Rolle spielten (christlicher Antijudaismus), wurden in der europäischen Moderne ethnisch-kulturelle Ressentiments immer wichtiger (völkischer Antisemitismus). Die Vorlesung fragt nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den beiden Motivreihen.
Gerade gegenwärtige Ereignissen in Folge des 7. Oktober 2023 haben die Debatten über Antisemitismus nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Staaten Europas neu angefacht. Nicht das Antisemitismus dazwischen verschwunden wäre, nur tritt er gegenwärtig dynamischer und sichtbarer auf als viele Jahre zuvor. Das Antisemitismus und Antijudaismus eine lange Tradition besitzt ist gerade dem Christentum wohl bewusst. So sind verschiedene Fachbereiche der Theologie Auskunftsfähig über die Verankerung von Antisemitismus im Denken von Christen. Dabei fällt die Antwort, inwieweit dieser Antijudaismus Eingang in den modernen Antisemitismus gefunden hat, durchaus ambivalent aus. Das Religion als Ausgangspunkt von Antisemitismus nicht völlig aus den Debatten verschwunden ist zeigt die jüngere Auseinandersetzung mit muslimischen Antisemitismus. Gleichzeitig wäre es eine Auslassung, die politischen Motivationen für Antisemitismus und kritischen Debatten über Antisemitismusdefinitionen oder der Abgrenzung dessen was nun Antisemitismus oder Kritik an Israel ist, aus dem Blick zu verlieren. Entsprechend muss eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus auch die moderneren Formen antisemitischer Umwegkommunikation, wie den israelbezogenen Antisemitismus und den sekundären Schuldabwehr-Antisemitismus, beinhalten.
Die Ringvorlesung setzt sich zwei Ziele: Zum einen soll der Blickwinkel unterschiedlicher theologischer Fachdisziplinen auf Antisemitismus zusammengetragen werden. Zum anderen werden Ergebnisse der gegenwärtigen Antisemitismusforschung vorgestellt. Auf diese Weise sollen Tradition und Gegenwart von Antisemitismus miteinander ins Gespräch gebracht werden und ein zeitlich übergreifendes Bild von Antisemitismus in seinen unterschiedlichen Facetten und Codes entstehen.
Die Vorlesung ist fakultätsöffentlich.